Rumänien: Diskriminierung nimmt HIV-positiven Kindern alle
Chancen
Sie werden misshandelt und sind schlecht auf das Leben vorbereitet
Bukarest, 2. August 2006 - Tausende HIV-positive Kinder und Jungendliche in Rumänien leiden unter
Diskriminierung, so Human Rights Watch in einem neu veröffentlichten Bericht (Bericht.pdf - hier). Dies hält viele
davon ab, eine Schule zu besuchen, sich medizinisch angemessen versorgen zu lassen, eine Arbeit zu suchen und sich ausreichend
über ihren Gesundheitszustand zu informieren.
Die rumänische Regierung hat es bis heute versäumt, entschieden gegen Diskriminierung in ihrem Land vorzugehen und die
Integration HIV-positiver Kinder und Jugendlicher zu fördern. Deshalb geraten diese leicht in Gefahr, misshandelt und
vernachlässigt zu werden. Auch sind sie schlecht über Sexualität informiert und kaum auf ihr Erwachsenenleben vorbereitet.
In Rumänien leben mehr als 7 200 Kinder und Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren mit dem HI-Virus. Ein Großteil von
ihnen wurde zwischen 1986 und 1991 infiziert, als sie aufgrund einer verfehlten Regierungspolitik mit infizierten Spritzen und
"Mikrotransfusionen" behandelt wurden. Sie bekamen als Kleinkinder unkontrollierte Blutspenden, um ihr Immunsystem zu
stärken.
Der Bericht "Life Doesn't Wait: Romania's Failure to Protect and Support Children and Youth
Living with HIV" dokumentiert, wie gegen die Rechte dieser Kinder und Jugendlichen auf Bildung, Gesundheit, Wahrung der
Privatsphäre und Information verstoßen wird. Der Bericht zeigt ferner, wie wenig rumänische Behörden sich für den Schutz
HIV-positiver Kinder und Jugendlicher vor Diskriminierung, Misshandlungen und Vernachlässigung einsetzen.
"Die
rumänische Regierung weiß seit mehr als 15 Jahren von diesen Kindern, doch bis jetzt hat sie keine konkreten Pläne, was mit
ihnen geschehen soll, sobald sie das 18. Lebensjahr erreicht haben", sagt Clarisa Bencomo, Researcher der
Kinderrechtsabteilung bei Human Rights Watch und Verfasserin des Berichts. "Wenn die Behörden nicht umgehend Maßnahmen
ergreifen, kann sich die Diskriminierung dieser Kinder und Jugendlichen weiter ungehindert ausbreiten und viele von ihnen werden
dadurch an den Rand der Gesellschaft gedrängt."
Nicht einmal 60 Prozent aller HIV-positiven Kinder in Rumänien
besuchen eine Schule. Und diejenigen, welche zur Schule gehen, riskieren Ausgrenzung und Misshandlung durch Lehrer und
Mitschüler, wenn nicht gar den Ausschluss aus der Schule, falls ihr HIV-Status bekannt wird. Manche HIV-positiven Kinder werden
ohne vernünftigen Grund in schlecht ausgestattete Sonderschulen abgeschoben oder daran gehindert, an Berufsschulprogrammen
teilzunehmen, durch die sie für Berufe im Nahrungsmittelsektor oder als Friseure ausgebildet würden. Für diese Berufe ist
nach rumänischem Recht ein AIDS-Test vorgeschrieben.
Wie Human Rights Watch herausfand, weigern sich Ärzte in
Rumänien häufig, HIV-positive Kinder und Jugendliche zu behandeln, oder sie schikanieren sie solange, bis sie es entmutigt
aufgeben, ärztliche Hilfe zu suchen. Besonders akut ist das Problem bei Kindern, die dringend einen Notarzt brauchen. Auch
Kinder mit schweren psychischen Störungen leiden unter der Situation. Wenn ihnen eine ambulante Behandlung verweigert wird,
bleibt ihnen nur noch der stationäre Aufenthalt in einer rumänischen Klinik. Doch dort ist ihre Gesundheit erst recht
gefährdet durch die miserablen Bedingungen, die in vielen psychiatrischen Einrichtungen herrschen.
Eine schleppende
bürokratische Abwicklung einerseits und Diskriminierung andererseits verhindern oft, dass HIV-positive Kinder und Jugendliche
die nötigen Medikamente zur Behandlung opportunistischer Infektionen erhalten. Zwar verpflichtete sich die rumänische
Regierung öffentlich, eine solche Behandlung zu ermöglichen, doch Lieferengpässe sind in einigen Gegenden keine Seltenheit.
Von Ärzten erfuhr Human Rights Watch, die Regierungspolitik hindere Krankenhäusern daran, Vorräte anzulegen, um auf erwartete
Lieferverzögerungen oder mangelnden Nachschub vorbereitet zu sein.
Medizinisches Personal, Schulleiter und
Regierungsbeamte verstoßen häufig gegen ihre Geheimhaltungspflicht. Doch selten werden sie dafür bestraft, trotz der oft
schwerwiegenden Folgen, die solch ein Verhalten für die HIV-positiven Kinder und ihre Familien hat. Dagegen drohen jedem harte
Strafen, der bewusst den AIDS-Virus auf andere überträgt. Dadurch werden infizierte Personen noch stärker diskriminiert.
Regierungsbeamte, Polizei, Ärzte und sogar Privatpersonen werden ermutigt, Kinder und Jugendliche "im Auge zu
behalten", die mit dem HI-Virus leben. HIV-positive Mädchen und Frauen scheinen besonders häufig überwacht und
gerichtlich belangt zu werden. Möglicherweise hält die Gefahr einer solchen Bespitzelung oder Kriminalisierung manchen
HIV-positiven Jugendlichen davon ab, sich Hilfe und Unterstützung zu holen, sei es bei der Polizei oder bei Ärzten.
Ohne Einwilligung der Eltern dürfen Ärzte in Rumänien ein Kind nicht über seine HIV-Infektion informieren. Dadurch wird
vielen Jugendlichen das Recht vorenthalten, sich auf Grund eigener Informationen für eine bestimmte medizinische Behandlung,
einen Bildungsweg oder Berufspläne zu entscheiden und das Sexualleben eigenverantwortlich zu gestalten. Der Wahlunterricht
über reproduktive Gesundheit, der zur Zeit nur während der siebten Klasse angeboten wird, nützt den 40 Prozent der
HIV-positiven Kinder, die keine Schule besuchen, ebenso wenig wie den bereits vor der siebten Klasse sexuell aktiven Kindern und
Jugendlichen.
HIV-positiven Jugendlichen können Jobs willkürlich verweigert werden, weil das rumänische Gesetz für
ein breites Spektrum an Beschäftigungen ärztliche Atteste vorschreibt, obwohl oftmals die Ansteckungsgefahr minimal ist.
Andererseits schützen diese Gesetze Personen nicht vor AIDS-Tests, die ohne ihre Einwilligung von privaten oder öffentlichen
Arbeitgebern veranlasst werden. Die Diskriminierung von Bewerbern um eine Arbeitsstelle lässt sich nur schwer vor Gericht
nachweisen. Außerdem würde der Kläger damit nur noch mehr Aufmerksamkeit auf seinen HIV-Status lenken, da Gerichtsunterlagen
in Rumänien nicht der Geheimhaltungspflicht unterliegen.
Rumänische Behörden klagen nur selten gerichtlich die
Einhaltung von Gesetzen ein, die HIV-positive Personen vor Diskriminierung schützen sollen. Das Gesetz sieht im übrigen kaum
Sanktionen wegen Diskriminierung vor. Den Behörden, die Kinder vor Diskriminierung, Misshandlungen und Vernachlässigung
schützen sollen, fehlt es oft an qualifizierten Mitarbeitern, um im Interesse der Kinder zu intervenieren und zu ermitteln.
HIV-positive Kinder und Jugendliche, die den Behörden schwere Misshandlungen melden, erhalten selten wirksame Unterstützung.
Mehr als 700 HIV-positive Kinder leben nach wie vor bei Verwandten, bei Pflegeeltern, in Wohngemeinschaften, die von
Nichtregierungsorganisationen betreut werden, in staatlich betreuten Wohngemeinschaften oder in Waisenhäusern. Diese Kinder
sehen einer unsicheren Zukunft entgegen, die mit dem 18 Lebensjahr beginnt. Zwar haben einige von ihnen Anspruch auf
verlängerten Schutzmaßnahmen über dieses Alter hinaus, doch gibt es keine Beratung, wie eine Verlängerung beantragt werden
kann. Viele werden nicht in der Lage sein, nach Erreichen des 18. Lebensjahres ohne entsprechende Unterstützung für sich
selbst zu sorgen.
"Rumänien hat große Fortschritte dabei gemacht, antiretrovirale Medikamente an alle
auszugeben, die sie brauchen," sagt Bencomo. "Doch HIV-positive Kinder brauchen nicht nur Medikamente. Sie brauchen
mehr noch als Erwachsene Schutz und Unterstützung."
Human Rights Watch forderte die rumänische Regierung auf,
die Rechte von HIV-positiven Kindern und Jugendlichen in folgenden Bereichen besonders zu schützen:
» Schulen und
Bildungseinrichtungen sollen ihnen offen stehen und sie sollen sich über Fragen der reproduktiven Gesundheit und HIV
ausreichend informieren können;
» die medizinische Versorgung einschließlich Medikamenten für Menschen mit
geistiger und körperlicher Behinderung soll gewährleistet sein;
» obligatorische HIV-Tests als Voraussetzung für
eine berufliche Beschäftigung sollen abschafft werden;
» die bewusste Übertragung von HIV sollte nicht länger
kriminalisiert werden;
» Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien, bei Verwandten oder in Wohngemeinschaften
leben, sollen auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereitet werden;
» junge Erwachsene sollen bei Bedarf auch nach dem
18. Lebensjahr weiter unterstützt werden.
Ausgewählte Zeugenaussagen aus dem Bericht:
"Die anderen
Kinder in der Schule haben mich alle ausgelacht. Sie haben solche Sachen gesagt wie: fass ihn nicht an, sonst kriegst du es
auch. Die Erwachsenen haben zugeschaut, aber nichts dagegen unternommen. Einmal bin ich unter einen Baum gefallen und konnte von
allein nicht wieder aufstehen. Ich bat meine Klassenkameraden, mir zu helfen, aber niemand war dazu bereit. So lag ich über
eine halbe Stunde dort, bis ich wieder hoch kam.... In der vierten Klasse schlug mich eine Lehrerin mit dem Absatz ihres Schuhs
auf den Kopf. Meine Mutter hat das gesehen. Die Lehrerin musste eine Strafe bezahlen, aber jetzt unterrichtet sie wieder."
- Nicu T. (Name geändert), 17, Landkreis Constanţa, 14. Februar 2006.
"Als ich zum ersten Mal zu
meiner Zahlärztin ging, war alles ok. Als ich ihr dann sagte, dass sie Einweghandschuhe anziehen solle, weil ich HIV-positiv
bin, schickte sie mich weg und meinte, sie müsse sich selbst schützen."
- Anica M. (Name geändert), 19, Bukarest,
16. Februar 2006.
"Meine Mutter behandelt mich schlecht. Sie schlägt mich mit einem Schürhaken und stieß
meinen Kopf gegen den Herd. ...Einmal zog ich für zwei Wochen zu einer Nachbarin, da ging meine Mutter zur Polizei und sagte
ihnen, ich sei weggelaufen und treibe mich mit Jungs herum. Die Polizei erklärte mir, ich müsse zu Hause bleiben, weil ich
krank bin. Einen Freund dürfe ich nicht haben und heiraten auch nicht. Deshalb müsse ich weiterhin in meinem Elternhaus
wohnen."
- Laura K., (Name geändert), 18, Landkreis Constanţa, 15. Februar 2006. Die Polizei und andere in
ihrer Gemeinde erfuhren von ihrem HIV-Status, nachdem ein Lehrer diese vertrauliche Information vor anderen Mitschülern
preisgegeben hat.
"Ich würde gern in einem Laden arbeiten, aber das ist nicht möglich. Überall, wo ich mich
vorstellen würde, hätte ich ein ärztliches Attest vorzulegen. Das trifft mich sehr. Braucht man wirklich ein ärztliches
Attest, um Schuhe zu verkaufen?"
- Anemona D. (Name geändert) 17, Bukarest, 18. Februar 2006.
Quelle und weitere Informationen: HUMAN RIGHTS WATCH - hrw.org
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Hinweis/Anmerkung: Diese Pressemeldung wurde unverändert von HUMAN RIGHTS
WATCH übernommen. Im laufenden Text, sowie bei den Forderungen ist von der bewussten Übertragung von AIDS und HIV die Rede.
Sicherlich handelt es sich hierbei nur um einen Fehler, der sich möglicherweise bei der Übersetzung dieser Pressemitteilung
eingeschlichen hat.
Richtig kann es wohl nur in der folgenden Schreibweise sein, da die bewusste Übertragung von AIDS und HIV, sowie anderen Krankheiten und Krankheitserregern, die
zum Tode der infizierten Person führen können, auch nach der Rechtsprechung anderer europäischer Staaten strafrechtlich
belangt werden kann.
» die unbewusste Übertragung von HIV sollte nicht länger kriminalisiert werden;
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