Ein Who's Who der Gelehrten des Spätmittelalters
08.01.07 - Die Erforschung von Gelehrtenbiografien des deutschen Sprachraums zwischen 1250 und 1550 soll
zu den Ursprüngen der neuzeitlichen Wissensgesellschaft führen. Für das Forschungsprojekt unter Berner Federführung wurden
nun 2.8 Millionen Euro aus dem deutschen «Akademienprogramm» gesprochen.
Die Verbreitung gelehrten Wissens, die zunehmende Akademisierung der Gesellschaft und die Professionalisierung von
Geisteswissenschaftern, Theologen, Juristen und Medizinern gehört zu den spannendsten Themen der europäischen Geschichte. Das
Wirken der Gelehrten seit dem späten Mittelalter hatte unter anderem Einfluss auf politische Systeme, auf den Wandel des
Lebensalltags oder auf das Entstehen von neuen Berufs- und Führungsgruppen. Das «Repertorium Academicum Germanicum», ein
Who?s who der Gelehrten des Spätmittelalters, soll dereinst durch die erfassten Personen und ihrer Netzwerke Aufschluss über
die Grundlagen der neuzeitlichen Wissensgesellschaft geben. Das Projekt ist eine Kooperation der Universitäten Bern und Giessen
und steht unter der Leitung des Berner Mittelalterhistorikers Rainer C. Schwinges und des Giessener Landeshistorikers Peter
Moraw. Es wird nun vom deutschen «Akademienprogramm», einem Förderinstrument der deutschen Akademienunion, mit 2.8 Millionen
Euro unterstützt.
Eine Datenbank mit 35'000 Gelehrten
Die Basis des Repertoriums ist eine zur Personenforschung angelegte Datenbank. Der Untersuchungszeitraum
umspannt mit 1250 bis 1550 die ersten drei entscheidenden Jahrhunderte der europäischen Universitätsentwicklung. In dieser
Phase waren im alten deutschen Reich über 300'000 Universitätsbesucher immatrikuliert. Davon sind 35'000 als
Gelehrte mit Studienabschluss einzustufen. Ihre vieltausendfachen Personendaten werden in der Datenbank zusammengeführt und ihr
Wirken auf empirisch gesicherter Grundlage beschrieben. Die Beschreibungen kombinieren sozial-, kulturwissenschaftliche und
wissenschaftshistorische Ansätze. Als Quellen dienen unter anderen Matrikeln, Fakultätsakten sowie nichtuniversitäre
Verzeichnisse. Aus der Fülle dieser Quellen werden die Individualdaten der Personen erschlossen und analysiert. Innerhalb
vieler investigativer Arbeitsschritte werden mit den wichtigsten Grunddaten (Name, Herkunft, Universität, Examina) auch
umfassendere Informationen verknüpft, etwa zu geistlichen und weltlichen Karrieren, zur beruflichen Wirkung, zur
Gelehrtenkultur und Selbstdarstellung, zu Tischgenossenschaften und anderen Beziehungsnetzen aus Studium und Tätigkeitsfeldern
sowie möglicherweise auch zum Aufstieg in den Adel. Bis Ende Jahr dürften die Basisdaten der rund 35'000 Personen online
verfügbar sein.
Interdisziplinär, international und langfristig angelegt
Erkenntnisziel des Repertoriums ist es, die Institutionengeschichte (Universitäten, Fakultäten) mit der Sozial- und
Kulturgeschichte der Universitätsbesucher (Herkunft, Lebens- und Berufswege) und der Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte (was
hat man gelernt, gedacht und bewirkt?) zu verbinden. Dies kann nur in einer internationalen Zusammenarbeit geschehen: Am
Repertorium sind Forschende aus nahezu allen Nachfolgestaaten oder Teilgebieten des Alten Reiches beteiligt, namentlich aus
Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Tschechien.
Mit dem aus Deutschland gesprochenen Geld wird nun eine Forschungsstelle in Bern auf 12 Jahre eingerichtet und der
wissenschaftliche Nachwuchs gefördert. In der grosszügigen Unterstützung sieht Prof. Schwinges einerseits ein «wieder
Ernstnehmen der Geisteswissenschaften» und ein klares Bekenntnis zu geisteswissenschaftlicher Grundlagenforschung. Andererseits
sei es auch ein «Baustein mit internationalem Renommee» für die Profilierung der Universität Bern im Bereich der Sozial- und
Kulturwissenschaften. Die Geschichte der Gelehrten, ihres Wissens und ihrer gesellschaftlichen Wirkung im Alten Reich bis 1550
wird, so Schwinges, «einmal ein geschichtswissenschaftliches Ereignis von europäischem Rang mit Vorbildfunktion für andere
Länder wie für andere Epochen sein.»
Das Repertorium Academicum Germanicum
Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG) ist eine Forschungsabteilung der Historischen Kommission bei der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften. Sie hat den Auftrag, die Gelehrten des alten deutschen Reiches, die an deutschen und auswärtigen
Universitäten zwischen 1250 und 1550 graduierten Theologen, Juristen, Mediziner und Artisten-Magister in ihren biographischen
und sozialen Daten zu erfassen und eine Datenbank für die Personenforschung für das gesamte Gebiet des Alten Reiches zu
erstellen. Ziel ist, das Wirken der Gelehrten in der vormodernen Gesellschaft auf empirisch gesicherter Grundlage zu beschreiben
und im Rahmen moderner, vor allem sozial-, kultur- und wissenschaftshistorisch vernetzter Bildungsforschung zu erklären.
Derzeit bestehen zwei Arbeitsstellen an den Universitäten Bern und Giessen.
In Bern begann die Arbeit am Repertorium Anfang 2001 unter Leitung von Prof. Rainer C. Schwinges. Das Projekt wurde bis Ende
2006 vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Das Team an der Universität Bern bearbeitet den Zeitraum von 1450 bis 1550.
Im Vordergrund steht augenblicklich die Auswertung der edierten Matrikeln und Promotionsakten der Universitäten des Alten
Reiches.
Quelle im Internet und weitere Informationen: Universität Bern - www.unibe.ch
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