Der erste Fusionsreaktor wird demnächst in Frankreich gebaut
Laut einer Mitteilung der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, ist der Bau des weltweit ersten Fusionsreaktors bereits eine beschlossene
Sache. Russland wird seinen Beitrag zu diesem einmaligen internationalen Projekt nicht nur mit Geld, sondern auch mit Wissen und
Technologien entrichten
MOSKAU, 09. Januar (Juri Saizew für RIA Novosti). Eine künstliche Sonne - der weltweit erste
Fusionsreaktor ITER (Internationaler Thermonuklearer Experimenteller Reaktor) - soll demnächst in der französischen Stadt
Cadarache bei Marseille gebaut werden. Das Abkommen über den Beginn dieses einmaligen Projektes wurde am 21. November 2006 von
Vertretern Russlands, Südkoreas, Chinas, Japans, Indiens, der Europäischen Union (EU) und der USA unterzeichnet. Russland wird
seinen Beitrag zu diesem knapp 13 Milliarden Euro schweren Projekt nicht nur mit Geld, sondern auch mit Wissen und Technologien
entrichten.
Im Unterschied zu den herkömmlichen Reaktoren in Kraftwerken, denen das Prinzip der Spaltung schwerer Atome zugrunde liegt,
werden im ITER-Reaktor zwei leichte Atome zu einem schweren fusioniert. Die Wissenschaftler stellen sich im Grunde genommen die
Aufgabe, Prozesse, die sich auf der Sonne abspielen, zuerst im Labor und dann industriemäßig zu simulieren. Durch die Synthese
von Kernen der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium im Inneren der Sonne wird das chemisch neutrale Helium gebildet. Dabei
wird bei der Fusion eine enorme Energie freigesetzt, die mehrere hundert Mal größer ist als bei der Spaltung von Uran in
AKW-Reaktoren.
Die Brennstoffquellen für Fusionsreaktoren sind auf der Erde praktisch unversiegbar: Deuterium und Tritium lassen sich aus
gewöhnlichem Wasser gewinnen. Das ist deutlich einfacher, billiger und sicherer als die Herstellung von herkömmlichen
Brennelementen für Atomkraftwerke. Zudem sind Fusionsreaktoren besonders umweltfreundlich, weil die Fusionsreaktionen absolut
"sauber" sind. Darüber hinaus sind derartige Reaktoren selbst bei schwersten Unfällen ungefährlich und können
daher in beliebigen, auch dicht besiedelten Gebieten gebaut werden.
Die Prinzipien der thermonuklearen Synthese waren vor mehr als 50 Jahren formuliert worden. Aber die Probleme, mit denen die
Wissenschaftler bei der Zündung und Kontrolle der Reaktion konfrontiert waren, erwiesen sich als immens. "Das Problem der
steuerbaren thermonuklearen Synthese ist das komplizierteste aller wissenschaftlich-technischen Probleme, die die Erfolge der
Naturkunde im 20. Jahrhundert aufgeworfen haben", sagte das Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Lew
Arzimowitsch. Daher war es im 20. Jahrhundert nicht gelungen, einen Fusionsreaktor zu bauen. Mehr noch. Nach einer Periode eines
extrem großen Interesses ließ der Elan etwas nach. Erst in den letzten Jahren wurden entsprechende Arbeiten in aller Welt
aktiviert.
Die große Bedeutung der Lösung des Problems der steuerbaren nuklearen Fusion hat eine umfassende internationale Zusammenarbeit
zu diesem Problem zur Folge. Dabei wurden gemeinsame Arbeiten auf einem bislang noch gesperrten Gebiet der damaligen Sowjetunion
initiiert. 1988 wurde auf Initiative der Sowjetunion mit der Projektierung des ersten experimentellen Reaktors - Tokamak
(Toroidale Kammer in Magnetspulen) begonnen. In das Plasma in der Kammer wird starker Strom gegeben, dessen Magnetfeld mit dem
des toroidalen Solenoids zusammenwirkt und ein Magnetfeld entstehen lässt, das das Plasma gut isoliert und dessen Gleichgewicht
gewährleistet.
Die vier Teilnehmer des Programms - die Sowjetunion (jetzt Russland), die USA, die Europäische Union und Japan - bildeten eine
Struktur, die es gestattet hat, eine solche Anlage ziemlich schnell zu entwickeln. Zum Erfolg trugen die früheren russischen
Forschungen in kleineren Anlagen bei, den so genannten Tokamak-Reaktoren der vornuklearen Generation. Mit diesen Anlagen wurden
physikalische Probleme der Tokamak-Reaktoren erforscht wie auch diverse technische Lösungen erprobt. Dazu gehören unter
anderem groß angelegte Magnet-Supraleitungssysteme, leistungsfähige Komplexe mit extrem hohen Frequenzen, die für die
Erzeugung und Aufrechterhaltung des Plasmas wie auch für dessen Stabilisierung im Reaktor erforderlich waren. Die Experten der
Russischen Atombehörde Rosatom sagen stolz, dass es gerade russische Wissenschaftler waren, die die ersten Systeme mit Plasma
im Magnetfeld entwickelt hatten, die jetzt dem ITER-Reaktor zugrunde liegen.
Der Reaktor in Cadarache ist vor allem dazu notwendig, um die Idee thermonuklearer Atomkraftwerke selbst unter Beweis zu
stellen. Wenn alles glatt geht, werden auf dessen Grundlage andere, leistungsfähigere und modernere Anlagen gebaut, die zur
Lösung der Energieprobleme der Menschheit beitragen sollen. Aber das passiert natürlich nicht von heute auf morgen. Nach
Ansicht des Mitglieds der Russischen Akademie der Wissenschaften Wladimir Fortow wird Fusionsstrom in Haushalts-Steckdosen nicht
früher als 2040 fließen. Der Präsident des russischen Zentrums "Kurtschatow-Institut", Akademiemitglied Jewgeni
Welichow, meint, dass das erste industriemäßige thermonukleare Kraftwerk zum Jahr 2030 in Japan gebaut wird, das mit akuten
Energieproblemen konfrontiert ist und keine eigenen Energieträger-Vorräte hat. "Wir rechnen damit, dass die
thermonukleare Synthese gegen Ende des Jahrhunderts einen großen Anteil an der Erzeugung der Energie für die Menschheit haben
wird", sagte Welichow.
Die Teilnahme Russlands an der Umsetzung des ITER-Projekts - dieses größten internationalen Programms auf dem Gebiet der
steuerbaren Fusion - bietet dem Land eine reale Möglichkeit, das hohe Niveau der Forschung in fortgeschrittensten Bereichen von
Wissenschaft und Technik aufrechtzuerhalten. Russland hat seine Verpflichtung in der Entwicklungsphase des Projektes
vollständig erfüllt. Aber der Abschluss des technischen Teils des Projektes bedeutet noch ganz und gar nicht, dass die
physikalischen Forschungen im Rahmen des Programms eingestellt werden. An Arbeit wird es hierbei nicht mangeln.
Bei einer Analyse der Situation im Bereich der Fusion gelangte eine Sonderkommission von EU-Vertretern und mehreren angesehenen
internationalen Experten zu dem Schluss, dass die Arbeiten auf dem Gebiet der Fusion im Hinblick auf die gegenwärtigen
Energieprobleme der Menschheit zu langsam vorangetrieben werden. Es sei erforderlich, die gemeinsamen Anstrengungen in diese
Richtung zu aktivieren, hieß es.
Quelle im Internet: RIA Novosti - de.rian.ru / Foto:
© RIA Novosti
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