Ein Problem kehrt zurück:
Seit 2004 sind bestimmte polybromierte organische Substanzen EU-weit verboten. Doch nun entdeckten
Forscher der Universität Hohenheim ähnliche Verbindungen natürlichen Ursprungs in Speisefischen
04.01.2007 - Zum Teil stehen die Chemikalien im Verdacht, krebserregend zu sein - zum Teil scheinen sie gerade erst das
geschätzte Meer-Aroma bei Meeresfrüchten hervorzurufen. In Speisefischen aus Aquakulturen entdeckten Lebensmittelchemiker der
Universität Hohenheim erhöhte Werte von polybromierten organischen Substanzen. Bis 2004 wurden derartige Verbindungen
künstlich produziert und als Flammschutzmittel in Produkten wie Armaturenbrettern oder Computergehäusen eingesetzt. Seit zwei
Jahren sind die bedenklichsten unter ihnen EU-weit verboten. Doch die aktuellen Substanzen scheinen natürlichen Ursprungs zu
sein. Dass sie oft in höheren Konzentrationen auftreten als die gerade verbotenen Schadstoffe, scheint auch eine Folge der
Überfischung der Meere zu sein.
Zurzeit schwimmt Fisch noch auf der Überholspur: 2005 verzehrte jeder Deutsche laut Deutschem Fischinformationszentrum mit 14,8
Kilogramm fast acht Prozent mehr Fisch als noch im Vorjahr. Kein Wunder, denn neben zahlreichen Fleischskandalen empfehlen doch
Ernährungsratgeber, dass Fisch wesentlich nahrhafter als Fleisch sei. Jetzt machten Forscher der Universität Hohenheim eine
Entdeckung, die es in sich hat: Sie fanden im Fett von Seefischen vereinzelt Gehalte von bis zu 1 mg/kg an halogenierten
Naturstoffen, die den als Flammschutzmittel verwendeten, krebserregenden polybromierten organischen Substanzen oft massiv
ähneln.
Auslöser der aktuellen Forschung waren Kontrollen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, die
bei Proben von Speisefischen aus dem Mittelmeer auf rätselhaft hohe Werte organischer Substanzen stießen. Hilfe suchend wandte
sich das Überwachungsamt an den Lebensmittelchemiker der Universität Hohenheim, der die gefundenen Stoffe nach mehreren
komplexen Untersuchungen als polybromierte Substanzen natürlichen Ursprungs identifizieren konnte.
"Einige polybromierten Naturstoffe unterscheiden sich nur um wenige Atome von den Chemikalien, die von Menschenhand gemacht
wurden", sagt Prof. Dr. Walter Vetter vom Institut für Lebensmittelchemie der Universität Hohenheim. Bislang hatte
allerdings niemand damit gerechnet, dass sie sich in Meeresfischen anreichern und so auf dem Teller der Verbraucher landen
könnten. Denn eigentlich werden diese Substanzen nur von niederen Organismen wie Algen, Schwämmen oder Würmern produziert, um
Feinde abzuschrecken.
Dass sich diese Stoffe jetzt mitunter in beachtenswerten Mengen in Meeresfischen finden, "dazu trägt der Mensch mit der
Fischzucht bei", so Prof. Dr. Vetter. Erdgeschichtlich hätten sich diese Verbindungen evolutionär im fein abgestimmten
Ökosystem Meer entwickelt und wurden von der Natur bislang im Gleichgewicht der Kräfte gehalten. Auch aufgrund der
Überfischung gingen jedoch immer mehr Fischproduzenten dazu über, Fische in eingezäunten Aquakulturen in Küstennähe zu
züchten - also genau im Lebensraum von Meeresalgen und Schwämmen, die polybromierte Substanzen erzeugen.
"Fische, die sich frei im Meer bewegen, weisen zumeist wesentlich geringere Gehalte an halogenierten Naturstoffen
auf", sagt Prof. Dr. Vetter. "Die Aquakultur kaserniert die Meeresfrüchte dagegen an Orten, wo sie den polybromierten
Substanzen konstant ausgesetzt sind - so dass sie vermehrt aufgenommen und im Fettgewebe angereichert werden."
Wie der Übertragungsweg von Algen, Würmern oder Schwämmen zum Fisch ist, sei noch nicht gänzlich erforscht. "Wir
können aber sicher sein, dass die durch Überfischung der Meere immer intensiver betriebene Fischzucht einer der Gründe für
das vermehrte Auftreten in Speisefisch ist."
So fanden die Forscher vom Institut für Lebensmittelchemie der Universität Hohenheim in Seafood aus Asien, Ozeanien und Europa
verschiedene polybromierte Naturstoffe, die mit dem Vorkommen von Algen und Schwämmen in Verbindung gebracht werden
konnten.
Erstaunt waren die Hohenheimer Wissenschaftler auch über Testergebnisse von Extrakten, wie etwa Haileberöl oder
Algentabletten. Wegen ihrer hohen Konzentration an Eiweiß, Vitaminen und Omega3-Fettsäuren werden die
Nahrungsergänzungsmittel gern als Wundermittel angepriesenen. Dabei wiesen vereinzelte Proben noch höhere Werte auf als die am
höchsten belasteten Speisefische.
Irritierend ist allerdings ein weiterer Aspekt bestimmter Polybromverbindungen: Wenn wir im Restaurant Meeresfrüchte bestellen,
dann soll ihr jodartiges Aroma unsere Sinne an eine raue Meeresküste entführen. "Dieser typische
"Meer-Geschmack" geht wahrscheinlich ebenfalls auf polybromierte organische Substanzen zurück", so Prof. Dr.
Vetter.
Was diese Entdeckungen für den Menschen bedeuten? "Klar ist, dass sich die bromierten Verbindungen im Fettgewebe
anreichern", erklärt Prof. Dr. Vetter. Dass eine akute Gefährdung für den Verbraucher bestehe, könne aber noch nicht
gesagt werden: "Dazu müssen erst umfassende toxikologische Untersuchungen erfolgen. Wir werden das im Auge behalten",
bekräftigt der Hohenheimer Wissenschaftler.
Hintergrund
Die Hohenheimer Lebensmittelchemiker um Prof. Dr. Walter Vetter arbeiten als eines von vier
Forschungsteams weltweit an der Analyse mariner halogenierter Naturstoffe in Lebensmitteln, zu denen auch die polybromierten
organischen Substanzen gehören. Die DFG verlängerte die finanzielle Förderung Ihrer Forschung im November 2006. Arbeiten der
Hohenheimer Wissenschaftler wurden auf internationalen Kongressen wiederholt mit Preisen ausgezeichnet.
Quelle im Internet und weitere Informationen unter: www.uni-hohenheim.de
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