Repräsentative Parlamentarier-Umfrage zeigt: Politiker und Bevölkerung haben unterschiedliche Auffassungen
Gütersloh, 18.12.2006 - Für eine deutliche Mehrheit der deutschen Parlamentarier sind Chancen- und
Teilhabegerechtigkeit die wichtigsten Grundpfeiler einer sozial gerechten Gesellschaft. Das belegt eine aktuelle
Allensbach-Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Am stärksten ausgeprägt ist dieses Verständnis von sozialer Gerechtigkeit bei
der jungen Politikergeneration (bis 35 Jahre). "Damit zeigt sich vor allem bei den jüngeren Politikern ein modernes
Verständnis sozialer Gerechtigkeit, das deutlich über eine reine Verteilungsgerechtigkeit durch staatliche Sozialtransfers
hinausgeht", sagte Projektleiter Dr. Robert Vehrkamp bei der Vorstellung der Studie.
In der Frage, wie gerecht die Verteilung von Vermögen und Einkommen in Deutschland ist, gehen die Einschätzungen von
Politikern und Bevölkerung jedoch eklatant auseinander: Während 60 Prozent aller Parlamentarier die Einkommens- und
Vermögensverteilung für gerecht halten, teilt in der Bevölkerung noch nicht einmal jeder Dritte diese Einschätzung. Eine
deutliche Mehrheit der Bevölkerung (56 Prozent) hält die gegebene Verteilung von Einkommen und Besitz in Deutschland für
nicht gerecht.
Eine Gerechtigkeitslücke sehen die Parlamentarier vor allem im deutschen Rentenversicherungssystem. Mehr als drei Viertel (78
Prozent) aller jüngeren und immerhin sechs von zehn aller Mandatsträger halten das deutsche Rentenversicherungssystem für
nicht generationengerecht. Die bei den jüngeren Abgeordneten überdurchschnittlich ausgeprägte Einschätzung erklärt auch,
warum diese Gruppe die Generationengerechtigkeit in Deutschland zu lediglich 45 Prozent für verwirklicht hält, während
die ab 50jährigen Parlamentarier die Verhältnisse in Deutschland zu immerhin 58 Prozent als generationengerecht
empfinden.
Partei- und generationenübergreifend sind 70 Prozent aller Parlamentarier dafür, die sozialen Sicherungssysteme stärker als
bisher über Steuern zu finanzieren. Auch diese Meinung ist bei den jüngeren Mandatsträgern besonders ausgeprägt: Drei
Viertel der bis zu 35jährigen treten für eine stärkere Steuerfinanzierung ein, gegenüber zwei Dritteln bei den älteren
Politikern. Auch parteiübergreifend findet sich eine zumindest knappe Mehrheit für eine stärkere Steuerfinanzierung:
Während die Zustimmung bei den Linken (90 Prozent), den Grünen (84 Prozent) und der SPD (80 Prozent) nahezu einhellig
ausfällt, sind in der CDU/CSU 59 Prozent und auch in der FDP eine immerhin knappe Mehrheit (50 Prozent) dafür, die sozialen
Sicherungssysteme in Zukunft stärker über Steuern zu finanzieren.
Der Optimismus, dass eine Umfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme diese allein bereits zukunftsfester macht, ist bei der
SPD, den Grünen und den Linken allerdings deutlich ausgeprägter als bei CDU/CSU und der FDP. Auch diese tragen die
Umfinanzierung zwar mehrheitlich mit, wollen eine stärkere Steuerfinanzierung aber zu zwei Dritteln (CDU/CSU) beziehungsweise
zu 90 Prozent (FDP) mit einer gleichzeitigen Senkung der Gesamtabgabenquote aus Steuern und Abgaben verbinden.
Für zu niedrig halten die Gesamtbelastung mit Steuern und Abgaben in Deutschland ohnehin nur 11 Prozent aller Parlamentarier.
Sehr viel mehr, 40 Prozent, halten die derzeitige Steuer- und Abgabenquote dagegen für zu hoch, während 46 Prozent aller
befragten Politiker diese für angemessen halten. Unzufriedener mit der Höhe der Steuern und Abgaben ist die junge Generation
der Politiker. Von den bis zu 35jährigen Mandatsträgern hält fast die Hälfte (47 Prozent) die derzeitige Gesamtbelastung
für zu hoch, während lediglich gut ein Drittel (35 Prozent) diese als angemessen betrachten.
Befragt danach, welches entwickelte Industrieland ihren Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit am Nächsten kommt, sieht eine
Mehrheit von 55 Prozent aller Politiker in den skandinavischen Ländern ihr Vorbild für soziale Gerechtigkeit. Als einzelnes
Land erhält Schweden die höchste Zustimmung und wird von immerhin einem Viertel aller befragten Politiker als Vorbild benannt.
Dagegen halten nur noch 15 Prozent der Parlamentarier Deutschland für vorbildlich, wobei sich die jüngere Generation (6
Prozent) noch deutlich weniger am deutschen Sozialmodell orientiert als die ältere Politikergeneration (19 Prozent).
Befragt wurde im Zeitraum zwischen dem 9. Oktober und 10. November 2006 eine repräsentative Stichprobe von 384 der insgesamt
rund 2.500 Parlamentarier des Deutschen Bundestages, der Länderparlamente sowie aus der Gruppe der deutschen
Europaabgeordneten. Die Umfrage wurde im Auftrag der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit der Heinz Nixdorf Stiftung und der
Ludwig-Erhard-Stiftung durchgeführt.
Über die Bertelsmann Stiftung:
Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für das Gemeinwohl ein. Sie engagiert sich in den Bereichen
Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit sowie Internationale Verständigung und fördert das friedliche Miteinander der
Kulturen. Durch ihr gesellschaftliches Engagement will sie alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich ebenfalls für das
Gemeinwohl einzusetzen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile
der Bertelsmann AG. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet operativ und ist unabhängig vom Unternehmen sowie parteipolitisch
neutral.
Quelle im Internet und weitere Informationen: www.bertelsmann-stiftung.de
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