Experteninterview zum Thema Agro-Gentechnik
mit der Ärztin Angela
von Beesten:
Agro-Gentechnik führt unkalkulierbare Risiken in die Ernährung ein
30.12.2006 - Das Thema Agro-Gentechnik polarisiert wie kaum ein anderes. Die Industrie propagiert die Labortechnik als Lösung
für fast alle Probleme im Bereich Landwirtschaft und Ernährung, während rund 70 Prozent der Bürger gentechnisch
veränderte Lebensmittel und die Freisetzung von gentechnisch manipulierten Pflanzen ablehnen. Minister Seehofer hat zunächst
einmal den Zeitdruck aus den Entscheidungsprozessen heraus genommen. Selbst der Bauernverband empfiehlt seinen Landwirten, zur
Zeit nicht auf Agro-Gentechnik zu setzen. Für das PresseForum BioBranche (PFBB) befragte Renée Herrnkind, Pressesprecherin
von Demeter, die Ärztin Angela von Beesten zu den Risiken der Agro-Gentechnik.
Angela von Beesten ist praktizierende Ärztin und Vorstandsmitglied im Ökologischen Ärztebund. Ihr Schwerpunktthema ist die
Auseinandersetzung mit Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung.
Warum raten Sie von der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen ab?
Ich lehne Agro-Gentechnik ab, weil sie überflüssig ist und bereits schlimme Folgen zeigt. Diese Risikotechnologie bietet
keine Lösung für die Erfordernisse einer gesunden, artgerechten und umweltverträglichen Ernährung und
Lebensmittelproduktion. Im Gegenteil führen die gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen neue, nicht einschätzbare Risiken in
die Ernährung ein. Die Konzentration auf diese Technologie bindet Forschungsgelder, die dringend für Qualitätsforschung in
biologischer Saatguterzeugung und Landwirtschaft sowie in Projekten zur Förderung der Ernährungs- und Esskultur gebraucht
werden. Die zehnjährige Anwendungsgeschichte der Agro-Gentechnik zeigt drastisch, dass sie nicht dem Wohl des Menschen und
seiner Mit-Welt dient, sondern den Interessen von wenigen Chemie- und Saatgutmultis, die den Saatgutmarkt kontrollieren
wollen. Einige der bereits sichtbaren Folgen sind zum Beispiel die Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft mit
Massenselbstmorden von Bauern in Indien, die ihre Lizenzgebühr für das patentierte Saatgut nicht mehr bezahlen konnten;
Regenwaldabholzung für den Anbau von gv-Soja in Brasilien; totale gentechnische Verunreinigung des Rapsanbaus in Kanada.
Die Industrie verspricht besonders gesunde Nahrungspflanzen, das müsste Sie als Ärztin doch überzeugen?
Die Zukunftsvisionen von gentechnisch "verbesserten" Pflanzen mit veränderten Inhaltsstoffen zeigen nur, wie mit
immer raffinierteren Methoden eine hightec-Ernährung konzipiert wird, die den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will.
Gentechnik ist keine Lösung für die Folgekrankheiten der industriellen Fehlernährung. Im Gegenteil betrachte ich sie als
dramatische Zuspitzung des technischen Eingriffs an Nahrungspflanzen und landwirtschaftlichen Nutztieren. Die Ernährung des
Menschen im Industriezeitalter kann auch ohne Gentechnik oftmals schon als nicht mehr artgerecht angesehen werden. Die Über-
und Fehlernährung mit Industriekost und zu viel tierischem Eiweiß, Zucker und Fett bei gleichzeitigem Bewegungsmangel hat
chronische Krankheiten zur Folge, die in der reichen westlichen Welt zunehmen. Besonders jüngere Menschen leiden zunehmend an
Diabetes oder Fettsucht. In armen Ländern entsteht die groteske Situation, dass einerseits Menschen am Hunger erkranken und
sterben und andererseits zunehmend auch an den Folgen von Fehlernährung mit Industriekost leiden.
Die Bestrebungen von Industrie, Wissenschaft und staatlichen Institutionen, viel Geld in die Entwicklung von gentechnisch
verfremdeten "Functional Food" zu stecken, gehen am Ziel der artgerechten menschlichen Ernährung erst recht vorbei,
denn der Mensch ist evolutionär nicht darauf vorbereitet, diese Kunstprodukte zu verarbeiten. So setzt leider auch die
Fördermaßnahme 'Funktionelle Ernährungsforschung' des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auf
das falsche Pferd. Hightec-Ernährung löst nicht die Ursachen von Fehlernährung, die in einem Überangebot ungesunder
Produkte oder in einem Mangel an ausreichender Nahrung bestehen. Notwendig wäre es stattdessen, eine Ernährungskultur zu
pflegen und wieder neu zu entwickeln, die eine möglichst Natur belassene, vitalstoffreiche Ernährung praktiziert.
Kennen Sie konkrete Risiken durch genveränderte Nahrung?
Der Verzehr von genveränderter Nahrung durch Millionen von Menschen ist ein weltweites, unkontrolliertes Experiment mit
ungewissem Ausgang und ohne Nutzen für die Gesundheit. Schon der gentechnische Eingriff selbst steht im Verdacht,
unvorhergesehene Ereignisse mit sich zu bringen. Der Eingriff in das Genom von Pflanzen und Tieren hat zelluläre
Regulationsmechanismen zur Folge, deren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind, da solche Gen-Konstrukte bisher in der Natur
nicht vorkamen. Es könnte etwa sein, dass neue Proteine oder Toxine entstehen oder dass die gewünschte erzeugte Eigenschaft
nicht stabil ist. Dieses Nicht-Wissen wird bei der Risikoabschätzung ausgeklammert. Gv-Pflanzen sind überwiegend mit
Antibiotika-Resistenz-Genen ausgestattet. Die Resistenz kann auf Darmbakterien übertragen werden. Auf diese Weise werden
Resistenzen gegen Antibiotika gefördert, die in der Medizin noch gebräuchlich sind - ein völlig unakzeptables Risiko.
Es gibt bisher keine systematischen Untersuchungen am Menschen zu den Auswirkungen des Konsums gentechnisch veränderter
Produkte und sie ließe sich aufgrund der Komplexität der Nahrungsmittel wohl auch kaum durchführen. Fütterungsstudien an
Tieren liefern allerdings bereits deutliche Hinweise auf gesundheitliche Gefahren.
Bereits 1997/98 wurden am Rowett Institut (RRI) in Aberdeen/Schottland von Arpad Pusztai in Fütterungsstudien an Ratten
veränderte Organgewichte und Anzeichen für eine Schädigung des Immunsystems nachgewiesen. Spektakulär an diesem Versuch
war, dass diese Veränderungen nur bei jenen Ratten auftraten, die mit Kartoffeln gefüttert wurden, die durch gentechnische
Veränderung ein Lektin aus Schneeglöckchen enthielten. Wurde das gleiche Lektin als Futterzusatz beigemischt, zeigten die
Ratten keine Veränderungen. Die Schlussfolgerung des Wissenschaftlers war, dass nicht die Wirkung des angereicherten
Lektin-Gens die Ursache für die Schädigung der Ratten war, sondern andere Teile der eingeschleusten Gensequenzen, die auf noch
unbekannte Weise der Kartoffel eine neue Toxizität verleihen.
Ein weiteres Beispiel ist ein Versuch an Feldmäusen, der in Australien durchgeführt wurde. Die Tiere wurden mit Erbsen
gefüttert, denen ein Bohnen-Gen eingepflanzt worden war. Die australische Regierung brach den Versuch im November 2005 aus
Sicherheitsgründen ab, weil diese Erbsen bei den Feldmäusen Lungenentzündungen auslösten. Die Forscher standen vor der
für sie vollkommen überraschenden Tatsache, dass die gleiche genetische Bauanweisung in Erbsen und Bohnen zu
unterschiedlichen Produkten geführt hatte. Die gv-Pflanzen, die bisher zur Marktreife gelangt sind, gehören fast
ausschließlich zu den Pflanzen der so genannten ersten Generation. Der an ihnen vollzogene gentechnische Eingriff ist
verhältnismäßig einfach im Vergleich zu den für die Zukunft geplanten gv-Pflanzen, in denen Impfstoffe oder spezielle
Enzyme und industriell verwertbare Rohstoffe erzeugt werden sollen. Mit dem Anbau dieser Pflanzen sind erhebliche Risiken
verbunden.
Durch den Konsum gentechnisch veränderter Nahrung könnten im Organismus des Konsumenten auf die Dauer unvorhersehbare,
unbeabsichtigte Effekte auftreten, die sich nicht im Voraus einschätzen lassen und möglicherweise gar nicht erkannt werden
können, weil der Ursache-Wirkungsmechanismus und die Wechselwirkungen unterschiedlicher gentechnischer Konstrukte nicht
bekannt sind.
Sie arbeiten in Ihrer Praxis auch psychotherapeutisch. Wie beurteilen Sie die zum Teil sehr emotionale Diskussion zur
Agro-Gentechnik?
Die Debatte um ein so existentielles Thema kann ja nicht emotionslos sein. Während die Befürworter der Gentechnik diese mit
Macht auf dem Markt voranbringen wollen, lehnen ihre Gegner sie aus guten Gründen energisch ab. In Deutschland befinden wir uns
derzeit in einer scheinbar unlösbaren Zwickmühlensituation, denn per Gesetz wurde vorgeschrieben, was nicht gelingen kann:
gv-Pflanzen sollen mit geringen "Sicherheitsabständen" neben ihren nicht manipulierten Artgenossen wachsen. Die
Interessenkonflikte liegen auf der Hand. Je mehr die Technologie mit Macht und Geld gegen den Willen der Menschen umgesetzt
wird, je mehr sie die gentechnikfreie konventionelle und biologische Landwirtschaft vereinnahmt und deren Werte nicht
respektiert, umso mehr wird sich Polarisierung und Machtkampf entwickeln. In dieser entscheidenden Phase der gesellschaftlichen
Auseinandersetzung geht es zum Einen um sachliche Aufklärung, zum Anderen um das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten zur
Bewahrung der gentechnikfreien Landwirtschaft und Natur. Um uns weiter zu entwickeln müssen wir auch Gefühle wie Zorn, Angst
und Ohnmacht durchleben. Sie sind manchmal notwendig, um zu Erkenntnissen und neuem Handeln zu kommen. Wenn wir nicht in ihnen
verharren, haben wir es in der Hand, uns stark zu machen für eine Umwelt fördernde Landwirtschaft, eine vielfältige
Ernährung und eine am Wohl von Menschen und Natur orientierte Wissenschaft und Wirtschaft.
Hinweis: Das PresseForum BioBranche wurde vor vier Jahren von Pressesprechern
der Naturkost- und Naturwarenbranche als Anlaufstelle für Medienvertreter gegründet. Das gesellschaftliche Interesse am Thema
Bio steigt kontinuierlich, ebenso die Berichterstattung in Rundfunk, Fernsehen und Printmedien. Die Vertreter des PresseForums
BioBranche sind kompetente Ansprechpartner für Journalisten, sie bieten Themen- und Expertenlisten, Interviews und O-Töne,
Betriebsbesichtigungen und Hintergrundinformationen an.
Renée Herrnkind
Demeter-Pressesprecherin
Quelle im Internet und weitere Informationen unter: www.demeter.de
--------------------------------------------------------
Weitere Themen: 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27
Sie haben eine Frage zum Thema "Gentechnik ist keine Lösung und birgt viele Risiken in sich"? Sie würden gern mehr
über die unkalkulierbareb Risiken der Agro-Gentechnik erfahren? Über einige Themen können wir auch nur berichten, doch einige
Antworten auf häufig gestellte Fragen finden Sie unter dem Stichpunkt Glossar und einige weiterführende Erläuterungen unter Brennpunkte I und II. An der Erweiterung dieser
Stichpunkte und Rubriken arbeiten wir.
Das Thema der letzten, dieser und der nächsten Seite:
Weitere Rubriken: