Studie: Wo welche Erinnerungen gespeichert sind
Nachwuchswissenschaftlerpreis an IGSN-Doktoranden
Bochum, 06.12.2006 - Den kenne ich doch irgendwoher - aber woher bloß? Jeder kennt die Situation, in
der ihm eine Person sehr vertraut vorkommt, er sich aber nicht erinnern kann, aus welchem Zusammenhang. In anderen Fällen haben
wir eine lebendige, detailreiche und bewusste Erinnerung an die Situation, in der wir jemanden kennen gelernt haben. Grund
dafür ist, dass das Gehirn diese verschiedenen Gedächtnisinhalte unterschiedlich behandelt und speichert. Diesen Prozessen ist
Jan Peters, Doktorand der International Graduate School of Neuroscience an der Ruhr-Universität, auf den Grund gegangen. Seine
Folgerung: Auch eine bewusste Erinnerung ist kein einheitlicher Prozess, sondern besteht aus verschieden gespeicherten
Teilinformationen. Für die Darstellung seiner Ergebnisse bekam er bei der Tagung Neurovisionen 2006 einen
Nachwuchsforscherpreis.
Grundlagen des Gedächtnisses
"Es deutet vieles darauf hin, dass den beiden Phänomenen der bewussten, detailreichen Erinnerung
und dem eher vagen Bekanntheitsgefühl unterschiedliche psychologische und neurobiologische Prozesse zugrunde liegen",
erklärt Jan Peters. Unterschiedliche Teile des medialen Temporallappens, einer Hirnstruktur, die schon seit langem mit
Gedächtnisprozessen in Verbindung gebracht wird, scheinen für die bewusste Erinnerung und das Gefühl der
Bekanntheit/Vertrautheit verantwortlich zu sein. Dass eine bewusste Erinnerung möglicherweise ebenfalls kein einheitlicher
Prozess ist, hat Jan Peters (Abteilung Neuropsychologie der Fakultät für Psychologie der RUB) in seinen Forschungsarbeiten
herausgefunden. In einer Kooperationsstudie des Lehrstuhls für Neuropsychologie der RUB (Prof. Dr. Irene Daum), des Instituts
für Interventionelle Radiologie und Nuklearmedizin des St. Josef Hospitals der RUB (Prof. Dr. Odo Köster) sowie der
Neurologischen Klinik des Klinikums Dortmund (Direktor: Prof. Dr. Michael Schwarz) untersuchte der Kognitionswissenschaftler die
neuropsychologischen Grundlagen der beschriebenen Gedächtnisprozesse.
Aufgabenteilung im medialen Temporallappen
Mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie wurde in einem ersten Experiment die Gehirnaktivität
aufgezeichnet, während sich Versuchspersonen Bilder von Gegenständen und gesprochene Worte merkten. Beim nachfolgenden
Behaltenstest wurde deutlich, dass der vordere und der hintere Bereich des medialen Temporallappens eine unterschiedliche
Spezialisierung aufweisen: Während beim Erinnern von auditorischer Information (d.h. der Stimme, mit der die Worte gesprochen
wurden) der hintere mediale Temporallappen aktiv war, wurde beim Erinnern von visueller Information (der Hintergrund, vor dem
die Gegenstände gezeigt wurden) eher der vordere mediale Temporallappen aktiv. In einer zweiten Studie untersuchte Peters die
Merkfähigkeit einer Patientin, deren hinterer medialer Temporallappen durch einen Schlaganfall geschädigt war. "Das
Gedächtnis der Patientin für Stimmen war stark beeinträchtigt, nicht jedoch das Gedächtnis für visuelle Information",
fasst er die Ergebnisse zusammen. "Das weist darauf hin, dass die bewusste Erinnerung selektiv für Informationen aus einer
Sinnesmodalität beeinträchtigt sein kann."
Anatomische Verschaltungen und funktionelle Spezialisierung
Wie kommt es zu dieser Spezialisierung im Temporallappen? Anatomisch ist der hintere Teil des medialen
Temporallappens eher mit auditorischen Hirnarealen verschaltet, während der vordere Teil eher mit visuellen Hirngebieten
verbunden ist. Diese anatomischen Verbindungen bilden vermutlich die Grundlage für die funktionelle Spezialisierung im medialen
Temporallappen. Die Forschungsergebnisse tragen zu einem besseren Verständnis der Hirnregionen bei, die am Behalten und
Erinnern und deren Störungen nach Hirnschädigungen beteiligt sind.
Referenz des Posters
J. Peters, B. Suchan, O. Köster, B. Koch, M. Schwarz, I. Daum: Modality-dependent organization of
episodic retrieval in the human medial temporal lobe: Converging evidence from neuroimaging and lesion data.
Quelle im
Internet und weitere Informationen: www.ruhr-uni-bochum.de
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