Naturschutzverbände und Forstgewerkschaft befürchten brutalstmöglichen
Angriff auf den Naturschutz in Hessen
Novelle des Hessischen Naturschutzgesetzes
*Gemeinsame Pressemitteilung von HGON - BUND - NABU - SDW - IG BAU - HVNL - DGWV
04.09.2006 - Zwei Tage vor der Landtagsanhörung zum neuen Hessischen Naturschutzgesetz (HENatG) haben
der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Deutschen Gebirgs- und Wandervereine (DGWV), die Hessische
Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON), die Hessische Vereinigung für Naturschutz und Landschaftspflege (HVNL),
der Naturschutzbund Deutschland (NABU), die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) und die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG
BAU) den Gesetzentwurf der Landesregierung als brutalst möglichen Angriff auf den Naturschutz in Hessen bezeichnet. Die sieben
Organisationen werfen Umweltminister Dietzel die Täuschung der Öffentlichkeit vor und unterstützen die Protestmail-Aktion www.fuer-ein-gutes-naturschutzgesetz.de, mit der schon
mehrere tausend Bürgerinnen und Bürger die Rücknahme und völlige Überarbeitung des Gesetzentwurfs verlangt haben. Hessens
Naturschützer sind auch alarmiert, weil die Regierung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bereits noch weitergehende
Verschlechterungen des Naturschutzgesetzes angekündigt hat.
Die schärfsten Kritikpunkte richten sich gegen
» die Beseitigung der großen Landschaftsschutzgebiete
» die Abschaffung des Streuobstschutzes
und
» die künftig ausbleibende Pflege der Naturschutzgebiete.
Außerdem sollen Naturzerstörungen künftig leichter und schneller genehmigt werden, während die Verfolgung rechtswidriger
Eingriffe künftig nicht mehr zwingend, sondern nur nach einer "Ermessensentscheidung" stattfinden soll. Zugleich soll
dem ehrenamtlichen Naturschutz die Arbeit noch schwerer gemacht werden. "Unsere Mitglieder reagieren schockiert oder
verärgert", berichtet Gerd Mehler, der Vorsitzende der SDW.
"Hessen ohne Streuobstschutz", das ist für Dirk Teßmer vom BUND eine groteske Vorstellung. Denn wie die früheren
Erfahrungen ohne die heutige Regelung belegen, wird genau dies die Folge sein, wenn der gesetzliche Schutz der Streuobstflächen
tatsächlich aufgehoben werden sollte. Auch Thomas Götz von den Gebirgs- und Wandervereinen sieht diesen für Hessen
einzigartigen Lebensraum durch die Vorstellungen des Umweltministers bedroht, denn die vom Minister als Alternative zum
generellen Schutz per Gesetz aufgezeigte Möglichkeit zur Schutzgebietsausweisung im Einzellfall kann nach seiner Meinung nicht
funktionieren. "Dieser Aufwand ist für die rund 700.000 hessischen Hochstamm-Obstbäume von keiner Verwaltung zu
leisten".
Völlig überzogen und eine erschreckende Vorstellung ist für den NABU-Vorsitzenden Gerhard Eppler die Forderung zur Aufhebung
von rund 600.000 Hektar Landschaftsschutzgebiet in den hessischen Mittelgebirgen: "In der Folge wird eine Baulawine über
die schönsten Landstriche niedergehen und viele Erholungslandschaften zerstören", so Eppler. Volker Diefenbach, der
Vorsitzende der Forstleute in der IG BAU, beklagt, dass die Landesregierung mit der Löschung der Landschaftsschutzgebiete
leichtfertig auch die Zukunft der Naturparke gefährde. Denn nach dem Bundes- und Landesnaturschutzgesetz müssen Naturparke
überwiegend als Landschafts- oder Naturschutzgebiete ausgewiesen sein. Besser wäre es, meint Diefenbach, wenn "die
Naturparke mit modernen Konzepten zu Motoren für den ländlichen Tourismus fortentwickelt und so Arbeitsplätze auf dem Land
schaffen würden".
Für Oliver Conz von der HGON steht der Naturschutz bei einer unveränderten Verabschiedung des Gesetzes vor einem
"Scherbenhaufen", weil die ganz seltenen und wirklich bedrohten Arten ohne Pflegepflicht selbst in den
Naturschutzgebieten nicht mehr überleben können. "Unsere Mitglieder haben in den letzten 30 Jahren Tausende von
Arbeitsstunden in die Ausweisung der Naturschutzgebiete gesteckt. Mit der Aufhebung der staatlichen Pflegepflicht wird diese
Arbeit innerhalb weniger Jahre sinnlos sein, denn wir wissen doch, dass der Finanzminister für freiwillige Maßnahmen aus der
leeren Landeskasse kein Geld ausgibt," kritisiert Conz die Landesregierung.
Prof. Klaus Werk, der Vorsitzende der HVNL, einer Fachorganisation des Berufsfeldes Naturschutz und Landschaftspflege,
befürchtet, dass die Novelle zur Verzögerung in Genehmigungsverfahren führen wird: " Da wird Sand ins Getriebe
geschüttet." Für ihn ist insbesondere die Streichung gesetzlich definierter Eingriffstatbestände ein schwerer
handwerklicher Fehler. Heute steht bei häufigen Fallgruppen klipp und klar im Gesetz, was gilt. Künftig müssen die Behörden
aber jedes Mal erst überlegen, ob das einzelne Vorhaben noch genehmigungsfrei oder doch schon ein Eingriff ist. Gerade die an
sich kleinen Grenzfälle werden künftig lange Diskussionen auslösen und das belastet die Fachbehörden und ist auch nicht
bürgerfreundlich, argumentiert Werk.
Die Verbände sind fassungslos, mit welchen unsinnigen Argumenten die Landesregierung und Mitglieder der CDU-Fraktion zur
Begründung einschneidendster Gesetzesteile aufwarten, z.B.:
» So behauptet Umweltminister Dietzel seit Monaten, dass die Landschafts- schutzgebiete aufgehoben werden müssten, weil sonst
bald 60 % der Landesfläche unter Schutz stünden.
Diese Behauptung ist falsch. Richtig ist, dass die von ihm als zusätzliche Schutzflächen genannten FFH- und Vogelschutzgebiete
sich fast vollständig mit den bestehenden Schutzgebieten überlagern.
» Gebetsmühlenartig wiederholt die
umweltpolitische Sprecherin Elisabeth Apel der CDU-Fraktion, dass die Pflanzung von Obstbäumen erst durch die Gesetzesänderung
wieder genehmigungsfrei würde.
Doch diese Behauptung ist falsch. Tatsache ist vielmehr, dass die Pflanzung junger und auch
die Beseitigung einzelner toter Hochstamm-Obstbäume nicht nur immer schon genehmigungsfrei waren, sondern dass solche
Maßnahmen sogar aktiv gefördert werden, weil die Streuobstwiesen nur so langfristig erhalten werden können. Verboten ist
hingegen nur die Rodung ganzer Obstwiesen.
» CDU-Fraktionsgeschäftsführer Axel Wintermeyer erläuterte Anfang August, dass die Einführung der Ermessensausübung
("Kann-Regelung") als Reaktion auf eindeutige Verstöße gegen das Naturschutzrecht nur eine "Angleichung an die
rechtliche Situation in allen anderen Bundesländern" sei und nur die hessische Sonderrolle aufgegeben werden solle.
Leider informierte Herr Wintermeyer falsch. Denn 11 der 15 anderen Bundesländer verlangen, dass ungenehmigte Naturzerstörungen
immer und ohne Ermessens¬ausübung gestoppt und beseitigt werden sollen. Von den vier Ländern mit einer
"Kann-Regelung" hat aber keines solche gewaltigen Probleme mit den vielen Schwarzbauten im Außenbereich wie
Hessen.
» Mangelnden Weitblick über die Landesgrenzen hinaus attestieren die Verbände der CDU geführten Landesregierung auch aus
ganz praktischen Erwägungen: Nach der Föderalismusreform des vergangenen Frühjahres hat der Bund angekündigt, das
Umweltrecht neu zu ordnen und schon in 2007 Anpassungen an das EU-Recht vorzunehmen. Das heißt, es ist jetzt schon absehbar,
dass das Hessische Naturschutzgesetz in Kürze schon wieder angepasst werden muss. Eine effektive Gesetzgebungs- und
Verwaltungspraxis ist der Landesregierung aber offensichtlich weniger wert als ein populistischer Schnellschuss gegen den
Naturschutz, so die Verbände.
Quelle im Internet: hessen.nabu.de
--------------------------------------------------------
Weitere Themen: 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41
Sie haben eine Frage zum Thema "Naturschutzgesetz" oder Sie möchten wissen, was bedeutet das Wort Ökologie oder was
ist ein Biotop (Lebensraum), oder was ist eine Photosynthese? Einige Antworten auf häufig gestellte Fragen finden Sie im Glossar und einige weiterführende Erklärungen unter dem Stichpunkt Brennpunkte I und II.
Das Thema der letzten, dieser und der nächsten Seite:
Weitere Rubriken: