Immer wieder erreichen uns erschütternde Bilder und bedrückende Nachrichten von Flüchtlingsdramen
im Mittelmeer. So im April 2015, als ein überladenes Flüchtlingsboot kenterte, welches sich auf dem Seeweg von Libyen nach
Italien befand. Nach Berichten eines Überlebenden befanden sich vermutlich rund 950 Flüchtlinge an Bord, von denen nur 28
gerettet werden konnten. In den Medien wurden teilweise geringe Opferzahlen verbreitet, wobei die genaue Anzahl sich kaum noch
feststellen lassen dürfte, da für mindestens 700 bis 800 Flüchtlinge das Mittelmehr zu einem Massengrab wurde.
Dieses Drama ist und war bei weitem nicht das einzige, welches sich in den letzten Jahren im Mittelmeer abspielte. So endete
allein im ersten Halbjahr 2015 für mehr als 1.750 Flüchtlinge der Traum von einem besseren Leben nicht wie erhofft in Europa,
sondern fand sein tragisches Ende im Mittelmeer. Zum Vergleich, im Jahre 2014 ertranken nach Angaben der Vereinten Nationen
mindestens 3.500 Menschen auf der Flucht, eine Zahl, die in diesem Jahr noch überschritten werden könnte.
Es sei bemerkt, wie hoch die eigentliche Dunkelziffer ist, darauf lassen diese Zahlen noch nicht schließen. Schwankende
Angaben, bei Verwendung von unterschiedlichen Quellen, sind ebenfalls möglich. Gesichert scheint lediglich zu sein, dass in den
letzten 25 Jahren mindestens 19.000 Flüchtlinge und Migranten im Mittelmehr ertranken. Nach anderen Quellen waren es hingen
rund 23.000 in den letzten 15 Jahren. 23.000 menschliche Dramen, wobei jedes Drama seine Hintergründe hat.
Doch eben diese Hintergründe werden in den täglichen Nachrichten oftmals kaum erwähnt oder aus einer etwas einseitigen
Perspektive heraus vermittelt. Der nachfolgende Einstieg ins Thema beantwortet nicht alle Fragen, lässt dafür jedoch Raum
für eigene Gedanken.
Heute wird teilweise zwischen Flüchtlingen und Migranten unterschieden, wobei die Einteilung nicht
immer ganz einfach und eindeutig ist, da Flüchtlinge gleichzeitig Migranten sind, Migranten jedoch nicht zwangsläufig
Flüchtlinge.
Um es dennoch so einfach wie möglich auszudrücken, zu einem Flüchtling wird ein Mensch, der aus Furcht vor Verfolgung die
Flucht ergreift. Entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention kann es sich bei der Verfolgung um eine Verfolgung wegen der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität, zu einer Ethnie, zu einer Religion oder zu einer sozialen Gruppe handeln,
ebenso aber auch um eine Verfolgung politisch Andersdenkender. Liegt einer dieser Gründe vor, kann ein Flüchtling Asyl zu
beantragen.
Als Migranten werden, neben den Flüchtlingen entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention, auch
Wirtschaftsflüchtlinge und Elendsflüchtlinge bezeichnet, die ihr Heimatland verlassen, weil sie sich in anderen Ländern
ein besseres Leben erhoffen oder aus persönlichen Gründen eine neue Heimat suchen. Weiterhin ist praktisch jeder ein Migrant,
der aus seinem Heimatland auswandert, um in einem anderen Land Fuß zu fassen. Bei unseren urzeitlichen Vorfahren, die in
mehreren Wellen aufbrachen, um von Afrika ausgehend den Rest der Welt zu bevölkern, handelte es sich praktisch um die ersten
Migranten, nur das es in jener Zeit noch keine Grenzen, Zollkontrollen und Staaten gab. Migranten, die nicht aus Furcht vor
Verfolgung fliehen mussten, können sich auf kein Asylrecht berufen.
Von skrupellosen Menschenhändlern und gut organisierten Schlepperbanden wird gelegentlich
berichtet, doch wie wörtlich sind in dieser Beziehung die Medien zu nehmen? Handelt es sich bei den Kapitänen der mit Menschen
vollgestopften Sardinendosen (von hochseetauglichen Schiffen kann wohl oft nicht gesprochen
werden) in allen Fällen um skrupellose Kriminelle oder nur um die Kriminalisierung von bereitwilligen
Fluchthelfern?
Wer sind diese Kapitäne?
Alle Kapitäne von Flüchtlingsboten wie Kriminelle behandeln zu wollen, geht zumindest zu weit. In einigen Fällen, vor allem
bei kleineren Schiffen und Fischerbooten, wird nur unter den Flüchtlingen nach einem geeigneten und bereitwilligen Migranten
gesucht, der die Rolle des Kapitäns übernimmt und der im Gegenzug nichts für die Überfahrt zu bezahlen braucht. Auch soll es
vorkommen, dass die Schlepper den Flüchtlingen selbst das Steuer überlassen. In anderen Fällen, wie im Dezember 2014 beim
Frachtschiff "Blue Sky M", sollen die Schlepper dem Kapitän 15.000 Dollar geboten haben und darüber hinausgehend
die Möglichkeit, seine Familie mit an Bord nehmen zu nehmen.
In diesen Fällen sind die Kapitäne keine Kriminellen, sondern mehr oder weniger selbst nur Migranten, die sich ein besseres
Leben in Europa erhoffen. Um einer Bestrafung zu entgehen, mischen die Kapitäne sich in diesen Fällen kurz vor der Küste
unter die restlichen Flüchtlinge.
Anders verhält es sich bei Kapitänen, die ein Schiff mit Flüchtlingen nur einen Teil der Strecke bis zum Zielort
begleiten, einen SOS-Notruf absetzen, danach jedoch von Bord gehen, um mit einem Schnellbot von anderen Schleppern wieder
zurückgebracht zu werden. Wie häufig letzteres der Fall ist, kann von unserer Seite nicht beurteilt werden, da genauere
Statistiken nicht vorliegen.
Weder Schlepper noch Kapitäne sind mehrheitlich als Menschenhändler anzusehen. Zwar trifft es zu, dass Flüchtlinge für
Transport und Überfahrt bezahlen müssen, jedoch wird niemand zu einer Überfahrt gezwungen und mit der Ware Mensch wird
nicht wie einst zu Zeiten des Sklavenhandels gehandelt. Vielmehr können Schlepper nur dann verdienen, wenn für
Migrationswillige die Reisefreiheit beschnitten wird, wie einst für Ausreisewillige in der ehemaligen DDR.
Auch innerhalb von Deutschland gab es in jenen Jahren Fluchthelfer, die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR gegen ein
stattliches Entgelt die Flucht ermöglichten. Die Beihilfe für eine Flucht auf dem Transitweg ließen sich die Fluchthelfer
mit 10.000 Mark und mehr vergüten, wie in älteren Medienberichten erwähnt wird. Nur wurden diese Fluchthelfer im
westlichen Deutschland nicht als Menschenhändler verunglimpft, wie heutige Fluchthelfer, die Migranten aus ärmeren
Ländern rund ums Mittelmeer eine Flucht ermöglichen.
Woher kommen die Flüchtlinge, die sich auf eine gefahrvolle Überquerung des Mittelmeers
einlassen?
Bekannt sind Routen, doch eine Route, wie die von Libyen nach Italien, verweist noch nicht auf die jeweiligen
Herkunftsregionen einzelner Flüchtlingsgruppen. Vielmehr liegt Libyen nur auf einer Land-Wasser Route, die von den
Schleppern und Flüchtlingen genutzt wird, wobei Libyen nicht mehr als eine Drehscheibe für viele Flüchtlinge darstellt.
Flüchtlinge aus unterschiedlichen afrikanischen Staaten und Schlepper wählen diese Route, da es in Libyen weder eine
intakte Infrastruktur noch eine funktionierende Regierung gibt. Libyen versank durch zwei Bürgerkriege immer tiefer in
ein Chaos und besitzt seit dem Sturz von Muammar al Gaddafi keine einheitlich handlungsfähige Regierung mehr. (Stand: 2015)
Zu den Top-Herkunftsländern zählen hingegen Syrien, Eritrea und in der Sub-Sahara gelegene Länder wie Somalia. Nachfolgend
ein kleiner, wenn gleich unvollkommener Überblick mit Daten von Frontex für das Jahr 2014.
Screenshot von NASA World Wind (public domain) | Daten von Frontex
Wer nach den Hintergründen für eine Flucht sucht, erhält einen ersten Anhaltspunkt bei einem Blick
in den Human Development Index (HDI)[1].
Der HDI liefert Anhaltspunkte zum durchschnittlichen pro Kopf-Einkommen, zur Lebenserwartung und zu den
Bildungsmöglichkeiten (Schulbesuch in Jahre). So liegt zum Beispiel die
durchschnittliche Lebenserwartung in Eritrea um rund 20 Jahre unter der in Deutschland und die durchschnittliche Zeit
für den Schulbesuch bei weniger als einem Drittel im Vergleich zum europäischen Durchschnitt.
Allein ungünstige Lebensumstände würden jedoch noch keine Völkerwanderung auslösen, wie einst beim Einfall der Hunnen ins
heutige Mitteleuropa. Vielmehr spielen weitere Gründe eine entscheidende Rolle, wie der Bürgerkrieg in Syrien, der seit
seinem Ausbruch im Jahre 2011 bis Ende des ersten Quartals 2015 bereits über 220.000 Menschen das Leben kostete und mehr als
vier Millionen Syrier veranlasste, ihr Heimatland zu verlassen. Hinzu kommt, dass kein Ende des Konfliktes in Sicht ist,
da neben den syrischen Regierungstruppen gleich mehrere Gruppierungen um eine Vormachtstellung im Land kämpfen, wie
der IS, der bereits weite Teile des Landes kontrollieren soll. (Stand: 2015)
Ähnlich wie in Syrien sieht es in Somalia aus, da auch dieses Land von Bürgerkriegen zerrissen ist. Besonders im Süden
des Landes flammten im letzten Jahrzehnt in und um Mogadischu immer wieder Kämpfe auf, in denen nach unterschiedlichen
Quellen kaum Rücksicht auf zivile Opfer genommen wurde. Auch die Mission der Afrikanischen Union in Somalia ((AMISOM) konnte bisher die Lage nicht völlig entspannen.
Hinzu kam im Jahre 2011 eine verheerende Dürre- und Hungerkrise, von der nach Schätzungen über drei Millionen Menschen im
Süden des Landes betroffen waren. Weitere Schätzungen gehen davon aus, dass für mehr als Zweidrittel der Bevölkerung von
Somalia bereits sauberes Trinkwasser oder medizinische Versorgung eher Luxus als eine Selbstverständlichkeit ist.
Anders als in Syrien und Somalia verhält es sich mit der Lage in Eritrea. Seit dem Jahre 1997 besitzt Eritrea zwar offiziell
eine demokratische Verfassung, die aber bisher nicht in Kraft trat, da sich das Land noch in einer Übergangsphase befindet.
Ferner wird Eritrea seit der Unabhängigkeit im Jahre 1993 von einem Staatsoberhaupt reagiert, der nach westlichen Vorstellungen
mehr dem Bild eines Diktators entspricht. Eine allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit scheint ebenfalls nicht zu existieren und
so wird Eritrea in einer von Reporter ohne Grenzen veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit ganz am Ende noch hinter
Nordkorea gelistet.
Das allein wäre noch kein Grund für eine Flucht Zehntausender, wenn es nicht gleichzeitig um die Menschenrechte schlecht
bestellt wäre. So berichten Human Rights Watch und Amnesty International von gravierenden Verletzungen der Menschenrechte, wie
von willkürlichen Inhaftierungen, von Folter und andere Misshandlungen. Weiterhin wird von einem Militärdienst wie in
Kriegszeiten berichtet, zu dem jeder Eritreer zwischen 18 und 50 Jahren für unbestimmte Zeit eingezogen werden kann.
Über die Lage in der Republik Kongo und in der Republik Sudan hatten wir bereits berichtet, so
dass wir uns eine Wiederholung ersparen und bei Interesse nur auf diese Beiträge verweisen möchten. Der Kongo gehört ebenso
wie Eritrea, Somalia und der Süden des Sudans zur Sub-Sahara.
weiterlesen » Flüchtlingspolitik der EU
Verweise - Flüchtlinge im Mittelmeer
Anmerkungen:
zu 1.) Human Development Index and its
components (hdr.undp.org)
Pressemitteilungen zum Thema: